Aufgewacht, ihr Scroll-Zombies!

Scroll-Zombie aus Sicht eines Smartphones.

Kürzlich habe ich über den Kampf um Aufmerksamkeit geschrieben, in dem wir uns heute mehr oder weniger alle befinden, und den ich immer weniger mitspielen möchte. Wenn alle wild durcheinander rufen „Hier bin ich! Bitte beachte mich!“, was soll dann anderes dabei heraus kommen als eine chaotische Kakophonie, die sich niemand mehr anhören möchte? Doch genau das ist in Social Media mittlerweile der Fall. Manche versuchen sich an plumpem Click Baiting, andere (auch Autoren) simulieren Kompetenz und produzieren vermeintlich nützlichen Content, der sich allzu oft als schlecht getarnte Selbstdarstellung entpuppt. Das alles schafft eine schiere Informationsflut, die den Einzelnen schlicht überfordert und ihn mehr verwirrt als dass sie ihm nützt.

Menschen sitzen auf ihren Sofas, scrollen endlos die Timeline hinunter, während im Hintergrund eine der vielen halbgaren Netflix-Serien vor sich hin blubbert. Dabei denken sie sich. „Hmmm, ja. Ganz nett, aber irgendwie langweilig. Was gibt es denn noch?“ Aber es kommt nur noch ganz selten etwas wirklich Interessantes. Sie merken unterbewusst, dass sie gerade ihre Zeit verschwenden, aber sie haben einfach nichts anderes zu tun. Und faul sind sie auch geworden. Während sie sich ein Video ansehen, in dem jemand erklärt, wie man seine Spülmaschine auf völlig revolutionäre und ökologische Weise (mit Natron und Essig, Oma lacht sich kaputt) reinigt, könnten sie das genauso gut selbst tun. Das ist nur nicht so bequem. Ein bisschen schlechtes Gewissen bleibt, weil die eigene Spülmaschine immer noch dreckig ist, während die im Insta-Video so schön glänzte. Noch dazu bekommt man vom vielen Sofalümmeln Rückenschmerzen und man muss sich ein Yoga-Video reinziehen, das erklärt, welche Übungen helfen. Die macht man aber bestenfalls ein mal. Zu anstrengend.

Gefalle dem Algorithmus – oder jage ihn zum Teufel!

Für Autoren, die Social Media als Plattform nutzen, um sich und ihr Schaffen darzustellen, kommt immer stärker die Frage auf: „Was soll ich da eigentlich posten? Was löst Reaktionen aus, was triggert den Algorithmus, damit ich endlich ein bisschen Reichweite bekomme?“ Die Frage ist berechtigt angesichts der Informationsflut. Aber wie soll man sie beantworten? Was holt den faulen Scroll-Zombie vom Sofa? Wie gefalle ich den Algorithmen von Facebook, Insta, Tiktok, Youtube und Co? Bin ich auf der Welt, um Algorithmen und völlig gelangweilten Smartphone-Abhängigen zu gefallen? Sind diese Fragen allmählich komplett rhetorischer Natur? Hm…

An dieser Stelle machen wir einen Sprung ins Jahr 1784. Damals schrieb Immanuel Kant als Antwort auf die Frage: „Was ist Aufklärung?“ folgendes: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Kein Mut, keine Ideen?

Das Problem der Menschen ist heute dasselbe wie vor über 200 Jahren. Es fehlt ihnen nicht an Verstand oder Intelligenz. Es mangelt ihnen an Mut und Motivation. Habe den Mut, bei der nächsten Unterhaltung über Netflix-Serien nicht mitreden zu können. Habe den Mut, deine Spülmaschine selbst nach deinen eigenen Regeln zu putzen oder das verdammte Ding dreckig zu lassen, wenn dir nicht nach Putzen ist. Habe den Mut, Yoga scheiße und Ratgebervideo überflüssig zu finden. Überwinde die Unmündigkeit des Social-Media-Scrollers, der schon lange nicht mehr weiß, was er eigentlich liken und teilen soll. Was sucht er in einer werbeverseuchten und selbstdarstellerischen Timeline? Dieser Content ist nicht da, um ihm zu nützen, sondern dem Ersteller und der Plattform, die daraus Kapital schlägt. Aber keine Angst, beim Stichwort Kapital hole ich jetzt nicht auch noch Karl Marx aus der Schublade – noch nicht zumindest.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe beschlossen, Facebook, Insta und Co nur noch in homöopathischen Dosen zu mir zu nehmen und stattdessen etwas anderes zu machen. Notfalls putze ich sogar die Spülmaschine.

2 Kommentare

  1. Ich wundere mich darüber, wie wenig Aufmerksamkeit den hervorragenden Beiträgen hier gewidmet wird. Natürlich möchte Herr Lundt seine Bücher verkaufen, für die er keinen Verlag gefunden hat, sonst wäre die VÖ von rekursion nicht BoD geworden. Was mich allerdings nicht daran gehindert hat, mir dieses neu zu kaufe. Ich habe es jetzt vor mir und freue mich darauf. Nach dem Lesen werde ich eine Amazon-Kritik schreiben.

    Vielen Dank, lieber Mikael, dass Sie sich solche Mühe geben mit den kostenlosen und dazu noch hilfreichen Artikeln hier.

    Alles Gute und viel Erfolg!

    LG Ralf

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